25.2.09

"Plötzlich war ich nicht mehr König"

JUGEND HINTER GITTERN

In der Neonazi-Szene war Toni R. eine tragende Säule - bis ihm Zweifel kamen, der damals 18-Jährige aussteigen wollte. Er schlug drei Skinheads mit einer Axt nieder, wurde zu fünf Jahren Knast verurteilt. Im Gefängnis schrieb er Texte über seine Taten - und änderte sich. In der Einsamkeit ihrer Zelle, ausgestattet mit einem Laptop, stellten sich junge Strafgefangene der Wiesbadener Justizvollzugsanstalt monatelang ihren Erinnerungen. "Wir sagen aus" heißt das Buch- und Filmprojekt, für das der Kasseler Pädagoge Reinhard Nolle bisher 27 JVA-Insassen von 19 bis 24 Jahren über ihre Taten, ihre Kindheit, ihr Umfeld befragte. Neonazi-Aufmarsch: Warum werden Jugendliche rechtsextrem? Die Gefangenen erzählten von alkoholkranken Eltern und schulischem Scheitern wegen mangelnder Deutschkenntnisse, von Verwahrlosung und fehlender Integration. "Ich wuchs weniger als die anderen", schrieb Häftling Toni dort, "leider werden kleinere Menschen nicht so ernst genommen, deshalb musste ich krasser sein als alle anderen." Aus dem aufgeweckten Grundschüler Toni wurde ein Rechtsradikaler; fünf Jahre musste er verbüßen. In Auszügen aus dem Buch "Wir sagen aus" beschreiben jugendliche Häftlinge auf SPIEGEL ONLINE prägende Momente ihres Lebens. Zum Start der Serie beschreibt der heute 24-Jährige Toni R. im Interview, wie die biografischen Kurzfilme und Aufsätze ihm dabei halfen, seine rechtsextreme Weltanschauung hinter sich zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind mit 18 Jahren für fünf Jahre ins Gefängnis gekommen. Warum?

Toni R.: Ich habe viele Jahre in der Neonazi-Szene verbracht. Nicht als Mitläufer, sondern als politischer Akteur. Deswegen stieg ich schnell in die höheren Kreise auf, war eine tragende Säule des Systems. Dass ich es mit einer Scheinwelt zu tun hatte, habe ich erst nach einigen Jahren kapiert. Irgendwann fing ich an zu zweifeln. Ich hatte mich schon aus der Szene zurückgezogen, als mehrere Skinheads bei mir einbrachen. Wohl um dafür zu sorgen, dass ich als absoluter Insider nicht zum Verräter werden würde. Mit einer Streitaxt aus meiner Waffensammlung schlug ich drei Leute bewusstlos. Eine Nachbarin hatte alles beobachtet und rief die Polizei. Ich hatte schon mehrere Strafen auf Bewährung und wurde wegen schwerer Körperverletzung zu fünf Jahren verurteilt. Heute denke ich, es sollte so sein. Ich habe sehr viel Mist gebaut.

SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie in die rechte Szene geführt?

Toni R.: Ich war frustriert vom Leben. Und manche meiner Charakterzüge kamen dem entgegen. Ich bleibe bis heute ein sehr disziplinierter Mensch, auch wenn ich Disziplin als Grundsatz nicht mehr so hochhalte wie in der Zeit als Neonazi. Also dachte ich damals, das sei das richtige. Dass ich so extrem geworden bin, mag auch zum Teil an meiner Kindheit liegen. In meinem Heimatort war die rechte Szene damals sehr stark.

SPIEGEL ONLINE: Wie sind Sie aufgewachsen?

Toni R.: Ich bin das Jüngste von sechs Kindern und habe wenig Aufmerksamkeit bekommen. Meine Eltern waren sehr religiös, doch ich konnte das irgendwann einfach nicht mehr hören. Ich habe als Gegenreaktion andere Extreme gesucht. Als Jugendlicher habe ich etwa wie verrückt Basketball gespielt, bis ich mich verletzte. Zum Glück bin ich jetzt erwachsen geworden und habe mich in einem langen Prozess zu einem gesellschaftsfähigen Menschen entwickelt.

SPIEGEL ONLINE: Woher kam der Sinneswandel?

Toni R.: Ich suchte in der Haft viel Unterstützung. Nach anderthalb Jahren durfte ich mir einen Film des Filmteams der JVA anschauen. Ich dachte sofort, da will ich mitmachen. Es klang nach Herausforderung. Der leitende Pädagoge lehnte meine Bewerbung zunächst ab, als er von meiner Vorgeschichte erfuhr. Ein Jahr später nahmen er und sein Assistent mich dann doch an. Sie gaben mir eine Chance - obwohl es hieß, ich sei so heftig. Und sie haben mich als Mensch erst mal genommen, wie ich bin. Das war schon mal cool.

SPIEGEL ONLINE: Worum ging es in dem Film?

Toni R.: Es ging um uns selbst. Der pädagogische Teil bestand darin, sich immer wieder mit sich selbst zu beschäftigen. Sich selbst wenigstens halbwegs objektiv zu sehen. Ich musste etwa einen Tag lang über meine Gedanken zum Thema "Empathie" schreiben. Am nächsten Tag habe ich das in der Gruppe von zehn Leuten vorgelesen. Daraus wurden dann das Buch und ein Drehbuch für den Film geschrieben.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie sich überhaupt schon einmal mit Ihrem Leben auseinandergesetzt?

Toni R.: Nein, erst in der Haft. Hätte ich das früher getan, wäre es wohl nicht so weit gekommen mit mir. Ich habe immer alles Negative verdrängt, mir meine rechte Welt schön geredet. Und auch im Projekt war das Erzählen von sich selbst für viele nicht einfach. Wir hatten alle gelernt, niemandem zu vertrauen und nichts Persönliches preis zu geben.

SPIEGEL ONLINE: Fiel dem rechten Aussteiger die Arbeit am Buchprojekt schwerer als anderen Insassen?

Toni R.: Das Pädagogische selbst war keine Qual für mich. Reden konnte ich damals richtig gut. Ich hatte ja in vielen rechtsextremen Schulungen gelernt, mich auszudrücken, zu diskutieren, Vorträge zu halten. Allerdings hatte ich ganz andere Strukturen gelernt. Mit Scheuklappen hatte ich die rechte Ideologie in Rekordzeit in mich aufgesogen und völlig verinnerlicht, habe entsprechend gehandelt und geredet. Hierarchie und Disziplin waren da wichtig. Doch dann saß ich plötzlich mit acht Immigranten in diesem Buchprojekt. Politisch eher links, kam mir Projektleiter Reinhard Nolle mit Offenheit, Vertrauen und Verständnis. Da hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Spaß daran, Leuten zu helfen. Oder Trost zu spenden in Situationen, in denen sich jemand allein fühlte.

SPIEGEL ONLINE: Diese Prinzipien waren ein paar Jahre zuvor für Sie noch unvorstellbar.

Toni R.: Allerdings. Mein Umdenken war nicht leicht nach so einer langen Zeit. In meiner rechten Welt war ich ja der König gewesen, dort kannte ich mich bestens aus. Plötzlich stand ich in unsicherem Terrain. Und musste alles neu lernen, wie man miteinander umgeht, wie man sich verhält. Aber die sozialen Projekte in der JVA haben mir geholfen, mich zurecht zu finden. Und Reinhard Nolle persönlich hat mir Denkanstöße gegeben, die ich vorher nie angenommen hätte.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Toni R.: Er hat mich Toleranz und Verständnis gelehrt. Und mir gezeigt, wo die Gründe dafür liegen, dass jemand Sachen macht, die ich verurteile - etwa mit Drogen zu dealen. Danach war die Welt ambivalent, nicht mehr bloß schwarz und weiß. Plötzlich sah ich die anderen Häftlinge aus Ruanda oder Pakistan nicht nur als Ausländer, sondern als Menschen, die zu meinen Freunden wurden. Die ersten acht Monate verbrachte ich mit Mohammed aus Sri Lanka in einer Doppelzelle. Wir sind bis heute befreundet.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie verstehen, warum andere Toni, den Neonazi, verurteilten?

Toni R.: Sie haben nicht mich als Menschen verurteilt, sondern das, was ich getan hatte. Und ja, das kann ich jetzt natürlich nachvollziehen. Wir haben manchmal acht Stunden am Tag diskutiert. Das hat uns sehr nah zusammen gebracht. Und hat mir geholfen, nicht so starr zu denken. Denn je mehr man sich auf eine Sache versteift, desto mehr sperrt man sich gegen alles andere.

 

Das Interview führte Carola Padtberg

 

http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,607867,00.html

Victor W.

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