26.2.09

"Man singt gern das Horst-Wessel-Lied"

NPD-AUSSTEIGER

Hitler-Gruß, SS-Bilder und Mauscheleien mit Quittungen: Uwe Luthardt war im Vorstand der Jenaer NPD. Nach nur drei Monaten in der Führungsspitze kehrte er der Partei angewidert den Rücken - jetzt erzählt er im Interview, was er dort erlebte.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind vor kurzem aus der NPD ausgestiegen, leben aber noch exponiert in Ihrer Heimatstadt. Haben Sie keine Angst?

Luthardt: Mir wurde von meinem örtlichen Parteichef gedroht: Ein Vorstandsmitglied tritt nicht aus der Partei aus, er wird rausgeworfen oder verschwindet. Ich habe geantwortet, dass ich mehr über ihn weiß als er über mich. Seither ist Ruhe. Jemand, der einfach so aussteigt, bekommt im Normalfall mächtig Probleme, der wacht unter Umständen auf der Intensivstation auf.

NPD-Aktivist: "In jedem Ortsverband drei bis fünf Mann, die nicht vorbestraft sind"

SPIEGEL ONLINE: Aussteiger werden also bedroht?

Luthardt: Das kommt vor, ansonsten gäbe es noch weniger Mitglieder. Die Stimmung ist zurzeit nicht gut, man bekommt ja mit, dass der Partei an allen Ecken und Enden Geld fehlt.

SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie an Ihren Parteifreunden gestört?

Luthardt: Das war alles nicht meine Welt. Wenn man zum Kameradschaftsabend kam, sah man als Erstes die ganzen Glatzen - mit der schwarzen Sonne oder anderen Nazi-Symbolen auf dem Arm. Die haben nur gesoffen und rumgepöbelt. Wenn kein Gegner da ist, prügelt man sich halt untereinander.

SPIEGEL ONLINE: An der Basis tobt also nicht gerade der Intellekt?

Luthardt: Viele in JN (Junge Nationaldemokraten - d. Red.) und Kameradschaften haben einen IQ im Bereich meiner Schuhgröße. Die meisten sind einfach gescheiterte Existenzen: Hilfsschüler, Leute, die die Schule oder die Lehre abgebrochen haben, Alkoholiker, die woanders keinen Fuß auf den Boden kriegen, Schläger. Es gibt aber in jedem Ortsverband drei bis fünf Mann, die nicht vorbestraft sind. Die werden dann zur Presse oder an die Infostände geschickt.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie sich ursprünglich von der Partei erhofft?

Luthardt: Ich wollte etwas für Deutschland tun, ein Großdeutschland interessiert mich nicht. Und plötzlich heißt es, wir holen uns Schlesien wieder, und dann kriegen die Kommunisten aber mal so richtig auf die Schnauze.

SPIEGEL ONLINE: Wie finanziert sich die Partei?

Luthardt: Unter anderem über die Musikveranstaltungen, die kosten ja beträchtlichen Eintritt. Und dann natürlich über das Fest der Völker, das brachte anno 2007 eine Einnahme von knapp 17.000 Euro.

SPIEGEL ONLINE: Wovon man die Gagen für die Bands abziehen muss.

Luthardt: Nein. In der Regel tut man gegenüber dem Ordnungsamt so, als bekämen sie eine Gage. In Wirklichkeit gibt es einen Unkostenbeitrag und eine Quittung über eine angeblich gezahlte Gage. Die wird dann aber wieder an die Partei zurückgespendet. Und die Spende kann dann wiederum die Partei von der Steuer absetzen.

SPIEGEL ONLINE: Warum verzichten die Bands auf Geld, das ihnen zusteht?

Luthardt: Das sind Überzeugungstäter. Auch die Partei besteht aus Überzeugungstätern. Wenn ich eine Schulung hatte und nach Berlin musste, haben wir unsere Fahrtkosten erstattet gekriegt und haben sie unten dann wieder als Spende an die Partei abgeführt. Das gleiche Muster. "Einen gemäßigten Flügel gibt es nicht"

SPIEGEL ONLINE: Wie werden die Spenden gewaschen - abgesehen von gefälschten Quittungen?

Luthardt: Nehmen wir die Spenden aus Südamerika …

SPIEGEL ONLINE: Spenden aus Südamerika?

Luthardt: Ja, das sind Zuwendungen von national gesinnten Deutschen, die schon etwas länger nicht mehr in Deutschland waren. Die spenden dann beispielsweise an irgendeinen mittelständischen Betrieb. Und die leiten den Betrag dann wiederum an die Partei weiter. (NPD-Chef - d. Red.) Voigts Hausmacht sind nicht zuletzt die Geldleute aus Südamerika - und eben Jürgen Rieger (sein Stellvertreter - d. Red.), der dorthin beste Kontakte hält.

SPIEGEL ONLINE: Gegenüber der Presse gerieren sich NPD-Funktionäre als rechtslastige Demokraten, verfassungsfeindliche Äußerungen versucht man zu vermeiden. Wie radikal ist die Partei wirklich?

Luthardt: Ziel ist die Wiedereinsetzung des Reichs, in dem sich eine neue SA an den Andersdenkenden rächt.

SPIEGEL ONLINE: Gilt das auch für den gemäßigten Flügel?

Luthardt: Einen gemäßigten Flügel gibt es nicht, die paar Versprengten haben nichts zu sagen. Die Medienschulungen in der Parteizentrale sind schon sehr effektiv. Die Kader wissen, wie sie sich verkaufen müssen. Das fängt bei der Anordnung an, sich mit Außenstehenden nur in unverfänglichen Räumen zu treffen. Das gilt für alle, außer für den Vorsitzenden. Da ist es gewollt, dass er vor massivem Schreibtisch und Parteifahnen in der Parteizentrale posiert. Die Jenaer Parteizentrale heißt jedenfalls nicht von ungefähr "Braunes Haus". Journalisten waren da noch nie drin.

SPIEGEL ONLINE: Was würden die dort sehen?

Luthardt: Im Keller jede Menge SS-Bilder. Es gibt auch einen Raum mit Waffen.

SPIEGEL ONLINE: Also ist die Behauptung, in der NPD sei das "Dritte Reich" kein Thema, eine Schutzbehauptung.

Luthardt: Reine Taktik. Man will so die Leute ködern, die noch nicht verstanden haben, dass die Partei nicht rechtsradikal, sondern noch radikaler ist. Es geht darum, in der Öffentlichkeit respektabel aufzutreten. Deswegen hat die Parteiführung auch Mitglieder mit einer ganz normalen Frisur und ganz normaler Kleidung am liebsten. Die kann man an die Infostände lassen.

SPIEGEL ONLINE: Besteht denn dann nicht die Gefahr, dass man die neonazistischen Aktivisten verprellt, wenn man sich allzu bürgerlich geriert?

Luthardt: Nein, denn es wissen ja alle, dass das reine Taktik ist. Die Flugblätter, die Plakate, das Aufspringen auf den Hartz-IV-Zug - da steckt nichts dahinter. Was man statt Hartz IV machen will, weiß keiner. Wir schmeißen die Ausländer raus, dann haben die Deutschen wieder Arbeit, das ist die Quintessenz der Konzepte, von denen die NPD spricht. Von den Güterzügen spricht sie nur, wenn kein Außenstehender zuhört.

SPIEGEL ONLINE: Von den Güterzügen aus dem "Dritten Reich"?

Luthardt: Von denen, in die man die politischen Gegner, die Juden und die Ausländer stecken will, wenn man mal die Mehrheit im Land hat. Intern wird Tacheles geredet, man singt auch gerne das Horst-Wessel-Lied. Kein Wunder, dass die Kameradschaften gerne akzeptieren, wenn der Wolf ein bisschen Kreide frisst.

SPIEGEL ONLINE: Das Verhältnis zu den Kameradschaften ist dennoch nicht immer konfliktfrei.

Luthardt: Absolut nicht. Die Freien Nationalisten lassen sich nicht gerne was vorschreiben und sind skeptisch gegenüber Parteien. Trotzdem lassen sich die meisten von der NPD benutzen. Das sind die nützlichen Idioten der Partei, vergleichbar mit der Rolle, die die SA für die NSDAP hatte. Ich sage denen auch immer: Schaut euch nur die Geschichte der SA an. Genauso wird es euch gehen, wenn die an der Macht sind.

SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie gemerkt, dass die interne Kommunikation der Partei sich so von der Außendarstellung unterscheidet?

Luthardt: Sehr schnell, nachdem ich im Vorstand war. Das ist ja auch nicht schwer, wenn man sieht, dass Leute sich mit gestrecktem Arm begrüßen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommt es denn, dass sich die Aktivisten in der Öffentlichkeit solche verfassungsfeindlichen Aktionen verkneifen?

Luthardt: Das Fußvolk hat strikte Order, auf gar keinen Fall mit der Presse zu sprechen. Es passiert auch ziemlich selten, dass sich einer verquatscht. Wenn doch, wird der sehr schnell eingeordert. Die Funktionäre haben alle entsprechende Schulungen hinter sich.

SPIEGEL ONLINE: In denen wird öffentliches Auftreten trainiert?

Luthardt: Das ist einer der Schwerpunkte. Es gibt interne Papiere, aus denen deutlich hervorgeht, wie sich jeder zu verhalten hat. Besonders heikel ist natürlich das "Dritte Reich". Also trainiert man Antworten auf Fragen wie "Was sagen Sie zum Holocaust?" Der erste Satz muss reichen, bei Nachfragen verstrickt man sich nur unnötig in Widersprüche.

SPIEGEL ONLINE: Fanden Sie die Schulungen überzeugend?

Luthardt: Wenn man eher zum gemäßigten Lager gehört, ist das ein Schock. Da überlegt man sich schon, ob man in der Partei richtig ist.

SPIEGEL ONLINE: Wer leitet diese Schulungen?

Luthardt: Thomas Salomon. Und der ist hundertprozentig von dem überzeugt, was er da erzählt. Der ist einer der Vordenker, zusammen mit Jürgen Gansel und Holger Apfel aus Sachsen.

SPIEGEL ONLINE: Von welcher Politik träumen die Herren?

Luthardt: Vom Deutschen Reich. Die sind vollauf davon überzeugt, dass sie irgendwann mal eine Wahl gewinnen und dass es dann richtig losgeht. Was dann passiert, kann sich jeder denken.

 

Die Fragen stellte Christoph Ruf

 

Aus: Christoph Ruf/Olaf Sundermeyer:

"In der NPD - Reisen in die National Befreite Zone"

Beck'sche Reihe, 2009, 229 Seiten, 12,95 Euro

 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hatte es geheißen, "nach nur drei Monaten" habe Uwe Luthardt die Jenaer NPD verlassen. Dabei fehlte der Zusatz "in der Führungsspitze", der deutlich macht, dass sich der Zeitraum auf Luthards Mitarbeit in der Parteiführung bezog. Der Text wurde entsprechend korrigiert.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,609449,00.html

25.2.09

"Plötzlich war ich nicht mehr König"

JUGEND HINTER GITTERN

In der Neonazi-Szene war Toni R. eine tragende Säule - bis ihm Zweifel kamen, der damals 18-Jährige aussteigen wollte. Er schlug drei Skinheads mit einer Axt nieder, wurde zu fünf Jahren Knast verurteilt. Im Gefängnis schrieb er Texte über seine Taten - und änderte sich. In der Einsamkeit ihrer Zelle, ausgestattet mit einem Laptop, stellten sich junge Strafgefangene der Wiesbadener Justizvollzugsanstalt monatelang ihren Erinnerungen. "Wir sagen aus" heißt das Buch- und Filmprojekt, für das der Kasseler Pädagoge Reinhard Nolle bisher 27 JVA-Insassen von 19 bis 24 Jahren über ihre Taten, ihre Kindheit, ihr Umfeld befragte. Neonazi-Aufmarsch: Warum werden Jugendliche rechtsextrem? Die Gefangenen erzählten von alkoholkranken Eltern und schulischem Scheitern wegen mangelnder Deutschkenntnisse, von Verwahrlosung und fehlender Integration. "Ich wuchs weniger als die anderen", schrieb Häftling Toni dort, "leider werden kleinere Menschen nicht so ernst genommen, deshalb musste ich krasser sein als alle anderen." Aus dem aufgeweckten Grundschüler Toni wurde ein Rechtsradikaler; fünf Jahre musste er verbüßen. In Auszügen aus dem Buch "Wir sagen aus" beschreiben jugendliche Häftlinge auf SPIEGEL ONLINE prägende Momente ihres Lebens. Zum Start der Serie beschreibt der heute 24-Jährige Toni R. im Interview, wie die biografischen Kurzfilme und Aufsätze ihm dabei halfen, seine rechtsextreme Weltanschauung hinter sich zu lassen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind mit 18 Jahren für fünf Jahre ins Gefängnis gekommen. Warum?

Toni R.: Ich habe viele Jahre in der Neonazi-Szene verbracht. Nicht als Mitläufer, sondern als politischer Akteur. Deswegen stieg ich schnell in die höheren Kreise auf, war eine tragende Säule des Systems. Dass ich es mit einer Scheinwelt zu tun hatte, habe ich erst nach einigen Jahren kapiert. Irgendwann fing ich an zu zweifeln. Ich hatte mich schon aus der Szene zurückgezogen, als mehrere Skinheads bei mir einbrachen. Wohl um dafür zu sorgen, dass ich als absoluter Insider nicht zum Verräter werden würde. Mit einer Streitaxt aus meiner Waffensammlung schlug ich drei Leute bewusstlos. Eine Nachbarin hatte alles beobachtet und rief die Polizei. Ich hatte schon mehrere Strafen auf Bewährung und wurde wegen schwerer Körperverletzung zu fünf Jahren verurteilt. Heute denke ich, es sollte so sein. Ich habe sehr viel Mist gebaut.

SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie in die rechte Szene geführt?

Toni R.: Ich war frustriert vom Leben. Und manche meiner Charakterzüge kamen dem entgegen. Ich bleibe bis heute ein sehr disziplinierter Mensch, auch wenn ich Disziplin als Grundsatz nicht mehr so hochhalte wie in der Zeit als Neonazi. Also dachte ich damals, das sei das richtige. Dass ich so extrem geworden bin, mag auch zum Teil an meiner Kindheit liegen. In meinem Heimatort war die rechte Szene damals sehr stark.

SPIEGEL ONLINE: Wie sind Sie aufgewachsen?

Toni R.: Ich bin das Jüngste von sechs Kindern und habe wenig Aufmerksamkeit bekommen. Meine Eltern waren sehr religiös, doch ich konnte das irgendwann einfach nicht mehr hören. Ich habe als Gegenreaktion andere Extreme gesucht. Als Jugendlicher habe ich etwa wie verrückt Basketball gespielt, bis ich mich verletzte. Zum Glück bin ich jetzt erwachsen geworden und habe mich in einem langen Prozess zu einem gesellschaftsfähigen Menschen entwickelt.

SPIEGEL ONLINE: Woher kam der Sinneswandel?

Toni R.: Ich suchte in der Haft viel Unterstützung. Nach anderthalb Jahren durfte ich mir einen Film des Filmteams der JVA anschauen. Ich dachte sofort, da will ich mitmachen. Es klang nach Herausforderung. Der leitende Pädagoge lehnte meine Bewerbung zunächst ab, als er von meiner Vorgeschichte erfuhr. Ein Jahr später nahmen er und sein Assistent mich dann doch an. Sie gaben mir eine Chance - obwohl es hieß, ich sei so heftig. Und sie haben mich als Mensch erst mal genommen, wie ich bin. Das war schon mal cool.

SPIEGEL ONLINE: Worum ging es in dem Film?

Toni R.: Es ging um uns selbst. Der pädagogische Teil bestand darin, sich immer wieder mit sich selbst zu beschäftigen. Sich selbst wenigstens halbwegs objektiv zu sehen. Ich musste etwa einen Tag lang über meine Gedanken zum Thema "Empathie" schreiben. Am nächsten Tag habe ich das in der Gruppe von zehn Leuten vorgelesen. Daraus wurden dann das Buch und ein Drehbuch für den Film geschrieben.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie sich überhaupt schon einmal mit Ihrem Leben auseinandergesetzt?

Toni R.: Nein, erst in der Haft. Hätte ich das früher getan, wäre es wohl nicht so weit gekommen mit mir. Ich habe immer alles Negative verdrängt, mir meine rechte Welt schön geredet. Und auch im Projekt war das Erzählen von sich selbst für viele nicht einfach. Wir hatten alle gelernt, niemandem zu vertrauen und nichts Persönliches preis zu geben.

SPIEGEL ONLINE: Fiel dem rechten Aussteiger die Arbeit am Buchprojekt schwerer als anderen Insassen?

Toni R.: Das Pädagogische selbst war keine Qual für mich. Reden konnte ich damals richtig gut. Ich hatte ja in vielen rechtsextremen Schulungen gelernt, mich auszudrücken, zu diskutieren, Vorträge zu halten. Allerdings hatte ich ganz andere Strukturen gelernt. Mit Scheuklappen hatte ich die rechte Ideologie in Rekordzeit in mich aufgesogen und völlig verinnerlicht, habe entsprechend gehandelt und geredet. Hierarchie und Disziplin waren da wichtig. Doch dann saß ich plötzlich mit acht Immigranten in diesem Buchprojekt. Politisch eher links, kam mir Projektleiter Reinhard Nolle mit Offenheit, Vertrauen und Verständnis. Da hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Spaß daran, Leuten zu helfen. Oder Trost zu spenden in Situationen, in denen sich jemand allein fühlte.

SPIEGEL ONLINE: Diese Prinzipien waren ein paar Jahre zuvor für Sie noch unvorstellbar.

Toni R.: Allerdings. Mein Umdenken war nicht leicht nach so einer langen Zeit. In meiner rechten Welt war ich ja der König gewesen, dort kannte ich mich bestens aus. Plötzlich stand ich in unsicherem Terrain. Und musste alles neu lernen, wie man miteinander umgeht, wie man sich verhält. Aber die sozialen Projekte in der JVA haben mir geholfen, mich zurecht zu finden. Und Reinhard Nolle persönlich hat mir Denkanstöße gegeben, die ich vorher nie angenommen hätte.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Toni R.: Er hat mich Toleranz und Verständnis gelehrt. Und mir gezeigt, wo die Gründe dafür liegen, dass jemand Sachen macht, die ich verurteile - etwa mit Drogen zu dealen. Danach war die Welt ambivalent, nicht mehr bloß schwarz und weiß. Plötzlich sah ich die anderen Häftlinge aus Ruanda oder Pakistan nicht nur als Ausländer, sondern als Menschen, die zu meinen Freunden wurden. Die ersten acht Monate verbrachte ich mit Mohammed aus Sri Lanka in einer Doppelzelle. Wir sind bis heute befreundet.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie verstehen, warum andere Toni, den Neonazi, verurteilten?

Toni R.: Sie haben nicht mich als Menschen verurteilt, sondern das, was ich getan hatte. Und ja, das kann ich jetzt natürlich nachvollziehen. Wir haben manchmal acht Stunden am Tag diskutiert. Das hat uns sehr nah zusammen gebracht. Und hat mir geholfen, nicht so starr zu denken. Denn je mehr man sich auf eine Sache versteift, desto mehr sperrt man sich gegen alles andere.

 

Das Interview führte Carola Padtberg

 

http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/0,1518,607867,00.html

21.2.09

Schröder trifft Ahmadinedschad hinter verschlossenen Türen

IRAN

Ex-Bundeskanzler Schröder hat bei seinem umstrittenen Besuch in Iran Präsident Ahmadinedschad getroffen. Er hatte angekündigt, dabei deutliche Worte wählen zu wollen - vor allem in Sachen Israel-Politik und Leugnung des Holocaust. Das Gespräch fand hinter verschlossenen Türen statt. Er hatte sich harsche Kritik für sein Vorhaben anhören müssen: Die Visite spiele der international isolierten iranischen Führung geradezu in die Hände, monierten Politiker von CDU und Grünen. Dennoch hielt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder an dem Termin mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad fest. Gerhard Schröder (re.) und Mahmud Ahmadinedschad: umstrittener Besuch. Das Gesprach fand hinter verschlossenen Türen im Präsidialamt statt. Eine anschließende Pressekonferenz ist nicht geplant. Stattdessen will das iranische Präsidialamt eine Presseerklärung zu dem Treffen veröffentlichen. Schröder, der sich zu einem privaten Besuch in Iran aufhält, hatte zuvor Gespräche mit Parlamentspräsident Ali Laridschani und Außenminister Manuchehr Mottaki geführt. Zudem ist ein Treffen mit Ex-Präsident Mohammed Chatami geplant, der bei der Präsidentenwahl im Juni gegen Ahmadinedschad antreten will. Schröder hatte am Samstag mehrfach betont, Iran solle nach 30 Jahrzehnten das Angebot der neuen US-Regierung von Barack Obama zur Aufnahme eines Dialogs annehmen, um eine neue Ära in seinen Beziehungen zum Westen zu ermöglichen. Laut Schröder könnte Iran eine positive Rolle in Afghanistan spielen etwa bei der Unterstützung der Regierung in Kabul und im Kampf gegen den Drogenhandel wie auch im Irak und im Nahen Osten. Ahmadinedschad hatte mögliche Gespräche mit den USA begrüßt, aber gleichzeitig einen Kontakt auf Augenhöhe und mit Respekt gefordert. Vor dem Treffen mit Ahmadinedschad, hatte Schröder den iranischen Präsidenten für dessen Bemerkungen gegen die Existenz Israels und die Leugnung des Holocaust kritisiert. "Der Holocaust ist eine historische Tatsache, und es macht keinen Sinn, dieses einmalige Verbrechen zu leugnen", sagte Schröder am Samstag vor der iranischen Industrie- und Handelskammer in Teheran. Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte Schröder wegen des Treffens mit Ahmadinedschad scharf. "Herr Schröder fügt dem Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zu", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Ahmadinedschad hatte vor zwei Jahren die Entfernung Israels aus dem Nahen Osten und dessen Verlegung nach Europa oder Amerika gefordert. Außerdem hatte er die historischen Dimensionen des Holocaust geleugnet und sie als "Märchen" bezeichnet. Falls Iran als Regionalmacht international ernst genommen werden wolle, so Schröder, sollte das Land auch Verantwortung übernehmen und internationale Regeln respektieren. Bemerkungen über den Holocaust würden nur von der zentralen Frage im Nahen Osten und der Suche nach einer gemeinsamen Lösung für den Konflikt zwischen Israel und Palästina ablenken, sagte Schröder weiter. Die iranische Seite reagierte prompt auf die Kritik: "Um gemeinsame Lösungen zu finden, sollte man auch das jüngste Massaker an den Menschen in Gaza nicht vergessen und Israel dafür auf internationaler Ebene verurteilen", sagte Mohammad Nahawandian, Leiter der iranischen Industrie- und Handelskammer. Man könne ja nicht "die Entwicklungen im Nahen Osten mit zweierlei Maß messen". Während seiner Amtszeit hatte Schröder den Iran nie besucht. Nun ist er seit Donnerstag auf Einladung eines iranischen Neurochirurgen unterwegs, der in Schröders Heimatstadt Hannover lebt und den der Altkanzler seit vielen Jahren kennt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes hatte gesagt, der Altbundeskanzler reise auf eigene Rechnung und nicht im Auftrag der Bundesregierung. Es sei aber selbstverständlich, dass vorher der Sachverstand der Regierung eingeholt worden sei.

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,609164,00.html

19.2.09

Zahl rechtsextremer Straftaten steigt auf Rekordniveau

KRIMINALSTATISTIK

So viele Straftaten von Rechtsextremen gab es noch nie: Vorläufigen Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge stieg die Zahl der registrierten Delikte auf 14.000 - dabei wurden 773 Menschen Opfer rechter Gewalt. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist 2008 einem Medienbericht zufolge auf Rekordniveau gestiegen. Die vorläufigen Zahlen, die das Bundesinnenministerium auf monatliche Anfrage übermittelt, summierten sich im vergangenen Jahr auf fast 14.000 Delikte, wie die ARD-"Tagesschau" auf ihrer Website berichtete. Darunter seien 735 Gewalttaten gewesen, bei denen 773 Personen verletzt wurden. Durch Nachmeldungen, die sich aus der Feinabstimmung der Landeskriminalstatistiken ergeben, könnten die Zahlen allerdings sogar noch erheblich steigen. Wie die ARD berichtet, lag die Summe der vorläufigen Monatsangaben 2007 bei knapp 11.000 rechtsextremen Straftaten. Die endgültige und offizielle Statistik wies dann sogar mehr als 18.000 Delikte aus. Wobei das Bundesinnenministerium darauf hinweist, dass der Anstieg 2008 zum Teil auf eine veränderte Erfassung von Delikten zurückzuführen ist. Bezogen auf die Einwohnerzahl gab es der ARD zufolge in Ostdeutschland die meisten rechtsextremen Gewalttaten. Allein im Dezember wurden in Sachsen elf rechtsextreme Angriffe registriert, in Berlin sieben und in Thüringen sowie Brandenburg jeweils drei. Aber auch Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen liegen nach absoluten Zahlen immer wieder in der Spitzengruppe. Die Ermittler zählten für das Jahr 2008 bislang 7118 Tatverdächtige sowie 241 vorläufige Festnahmen. Gegen 17 von ihnen wurde Haftbefehl erlassen. Außerdem legte das Innenministerium - ebenfalls auf Anfrage - die Zahlen über antisemitische Straftaten im Jahr 2008 vor. Demnach gab es nach Angaben des Senders insgesamt 1089 solcher Delikte, darunter 32 Gewalttaten mit 36 Verletzten. Im Vorjahr wurden nach vorläufigen Zahlen 951 judenfeindliche Straftaten registriert, darunter 34 Gewaltdelikte mit 23 Verletzten.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,608319,00.html

16.2.09

"Jagdszenen auf der Autobahnraststätte"

ÜBERFALL AUF ANTI-NEONAZI-DEMONSTRANTEN

Zufallsbegegnung mit blutigem Ausgang: Auf dem Autobahnrastplatz Teufelstal bei Jena trafen drei Reisebusse zur gleichen Zeit ein - in zweien saßen Teilnehmer der Anti-Neonazi-Demo von Dresden, im dritten 41 Rechtsextremisten. Erst pöbelten die nur. Dann schlugen sie zu. Es geschah ein paar Kilometer östlich von Jena. Die zwei Busse kamen aus Dresden, von der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch. Es war gegen halb acht Uhr am Samstagabend, die Mitglieder von DGB und Linkspartei aus Nordhessen wollten Pause machen. Anti-Neonazi-Demo "Geh Denken!" in Dresden (am Samstag): "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich" Dann rollte nach Polizeiangaben ein weiterer Bus auf den Parkplatz. Darin: 41 Rechtsextremisten aus Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schweden. Eine fatale Zufallsbegegnung. Erst pöbelten die Rechtsextremen. Dann schlugen sie zu. "Die Neonazis haben unsere zwei Busse aus Nordhessen mit den Worten 'Attack Antifa' mit Flaschen und einem mehrere Kilogramm schweren Eisklotz angegriffen", wird ein DGB'ler von der Nachrichtenagentur AP zitiert. Ein Kollege habe sich bei dem Angriff mehrerer Rechtsextremisten nicht mehr in den Bus retten können. Er sei so lange gegen Kopf und Oberkörper getreten worden, bis er sich nicht mehr gerührt habe. Im Uni-Klinikum Jena sei später ein Schädelbruch festgestellt worden, der am Montag operiert werden solle. Der aus der Nähe des nordhessischen Schwalmstadt stammende Mann sei Mitglied der Gewerkschaft IG Bau, Agrar und Umwelt. Bei dem Angriff sei eine weitere Person aus einem anderen Bus aus dem Ruhrgebiet ebenfalls schwer verletzt worden. Drei Demonstrationsteilnehmern schlugen die Neonazis laut DGB ins Gesicht. Ein Sprecher der hessischen Linkspartei erklärte, auch Mitglieder seiner Partei seien darunter gewesen. Die zuständige Polizeidirektion Jena erklärte per Pressemitteilung, insgesamt fünf der Angegriffenen seien "leicht verletzt an Oberkörper und Gesicht". Zwei von ihnen seien im Klinikum Jena ambulant behandelt worden, "die anderen wurden durch herbeigerufene Rettungskräfte vor Ort versorgt". Meldungen über einen Schädelbruch bestätigte er nicht. Linkspartei erhebt Vorwürfe gegen Polizei. "Beim Eintreffen der Beamten an der Raststätte hatte der Bus diese bereits verlassen. Er konnte etwa 15 Kilometer weiter in Höhe von Jena gestoppt werden", so ein Polizeisprecher. Die Neonazis seien zwischen 14 und 55 Jahre alt, einige von ihnen wegen rechtsextremistischer Aktivitäten polizeibekannt. Der Bus soll im saarländischen Homburg zugelassen sein. Gegen alle Insassen werde wegen Landfriedensbruchs ermittelt. Die weiteren Ermittlungen wurden der Jenaer Kriminalpolizei übertragen, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Staatsschutzes gebildet hat. Thüringens Linkspartei-Spitzenkandidat Bodo Ramelow berichtete über seinen Kontakt zu den Attackierten: "Teilnehmer haben mir von schlimmen Jagdszenen berichtet, die sich am Samstagabend auf der Autobahnraststätte abgespielt haben. Hier haben die Neonazis ihr wahres Gesicht und ihre Gewaltbereitschaft gezeigt." Ramelow warf der Polizei und den Sicherheitsbehörden Versagen vor. "Es ist unverständlich, wie die Abreise dieser gefährlichen Schläger von der Polizei unbeobachtet erfolgen konnte. Es war klar, dass die Fahrt durch Thüringen führt." Er kündigte deshalb eine Untersuchung im thüringischen Landtag an. Auch die hessische Linkspartei reagierte: "Die immer häufiger und brutaler werdenden Gewalttaten von Neonazis erschrecken mich", so Linke-Chef Ulrich Wilken. Er fordere alle Verantwortlichen auf, "endlich wirksam gegen die Neonazi-Szene vorzugehen". Wilken weiter: "Wer der zunehmenden rechten Gewalt tatenlos zusieht, macht sich indirekt mitverantwortlich." Der DGB Dresden als Mitveranstalter der Demonstration "Geh Denken" nannte den Überfall einen Gewaltakt von erschreckendem Ausmaß.  In Dresden hatten am Samstag mehr als 10.000 Menschen mit Sternmärschen und Kundgebungen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Sie erinnerten damit auch an die Zerstörung der Stadt bei Angriffen britischer und amerikanischer Bomben am 13. und 14. Februar 1945. Der Protest wandte sich gegen einen Aufmarsch von etwa 6.000 Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland. Die Rechtsextremisten instrumentalisieren seit langem den Jahrestag der Bombardierung Dresdens Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch bundespolitische Prominenz wie SPD-Chef Franz Müntefering, Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, reihten sich in die Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch ein. Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte zum Auftakt: "Es ist gut, dass hier so viele Menschen stehen und Flagge zeigen. Wir müssen die Antidemokraten heute und an jedem anderen Tag in die Schranken weisen." "Die Opfer haben ein würdiges Andenken verdient und keine Vereinnahmung durch rechtsextreme Propaganda", sagte Roth. Gysi verlangte ein Verbot der rechtsextremen NPD, die an vorderer Stelle am Nazi-Aufmarsch teilnahm. Müntefering sagte: "Keine Toleranz gegenüber Intoleranten. Das gehört zur wehrhaften Demokratie auch mit dazu."

 

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,607745,00.html

15.2.09

GEDENKTAG

Wie Neonazis Dresden zu ihrer Pilgerstätte machen

Ein lebendes Schandmal: 6000 Neonazis kamen am Wochenende nach Dresden und missbrauchten das Gedenken an die Bombardierung vor 64 Jahren. Ihr "Trauermarsch" ging in diesem Jahr mitten durch die Innenstadt. Das konnten selbst die gut 12.000 Gegendemonstranten nicht verhindern. Was sind sie stolz auf ihre Frauenkirche, die Dresdner. Punkt viertel vor zehn am Freitagabend, gerade haben in der ganzen Stadt die Kirchenglocken angefangen zu läuten, recken sie die Köpfe nach oben, umarmen sich und mustern das Bauwerk. Es ist ihr Symbol, das Symbol der Versöhnung. Sie sind gekommen, um zu erinnern. An die vielen tausend Menschen, die bei den Luftangriffen vom 13. bis 15. Februar vor genau 64 Jahren ums Leben kamen - und an die verbrecherischen Kriege der Nazis, die die Alliierten zu den Bombardements verleiteten. Es ist bitterkalt, trotzdem haben sich Hunderte mit Kerzen rund um den Kirchenneubau versammelt. Es könnte eigentlich eine schöne Stimmung sein, festlich und ruhig. Wenn nicht an jeder Ecke der Stadt an diesen beiden Tagen Polizisten stehen würden. Und wenn es nicht auch dieses andere Dresden gäbe. Das andere, gruselige Dresden lässt sich wenige Stunden später, am Samstagmittag, ebenfalls mitten in der Innenstadt besichtigen. Rund 6.000 Neonazis aus ganz Europa ziehen durch die Straßen. Auch sie sind gekommen, um zu erinnern. Seit zehn Jahren kommen sie jedes Jahr. Die Gedenktage der Bombardierung sind zum Highlight für Rechtsradikale geworden. Sie wollen in Dresden den Kampf um das Gedächtnis gewinnen und sich gegenseitig ihrer kruden Mythen vergewissern. Zum Beispiel, dass mit Dresden eine "unschuldige" Kulturstadt dem Erdboden gleichgemacht worden sei. Oder dass "Hunderttausende" Zivilisten das Leben hätten lassen müssen. Mit all diesen Legenden hat eine 2004 von der Stadt eingesetzte Historikerkommission eigentlich längst aufgeräumt. 25.000 Menschen sind nach deren Angaben gestorben. Und die Stadt war nie ein beschauliches Elbflorenz. Auch von hier wurden Juden deportiert. Zudem wurde hier Hitlers Krieg an der Ostfront strategisch vorbereitet. Moderates Auftreten ist Strategie  Doch das interessiert heute keinen einzigen Rechten. Sie marschieren mitten durch die Einkaufszone, die Dresdner Politik hat es ihnen erlaubt. Die "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland" hat zu dem "Trauermarsch" aufgerufen. Ihre Trauer gilt ausschließlich den deutschen Opfern, versteht sich, der Rest der Geschichte wird ausgeblendet. Gekommen sind sie alle, die freien Kameradschaften, die Burschenschaften und natürlich die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, samt ihrem Chef Holger Apfel und dem Bundesvorsitzenden Udo Voigt. Es gibt keine Parolen, kein Gebrüll. Sie treten moderat auf, Typ Biedermänner. Was sie sagen wollen, tragen sie auf Bannern vor sich her. "Alliierter Bombenholocaust", steht darauf, "Geschichtliche Wahrheit bringt geistige Freiheit" oder "Ehre den deutschen Trümmerfrauen". An die deutsche Kriegsschuld will hier niemand glauben. Flankiert von der Polizei bleiben sie alle paar Minuten stehen - einfach so, zwischen Commerzbank und Karstadt am Altmarkt, während die Dresdner ihrem Samstagseinkauf frönen, als wäre nichts. Es ist eine stille Machtdemonstration. Es scheint ja auch niemanden so richtig zu stören. Von den gut 12.000 Gegendemonstranten wissen die Rechten nur vom Hörensagen, deren Protestzug wird streng abgeschirmt durch den anderen Teil der Altstadt geführt. Kontakt? Nicht möglich. Nur rund zwei Dutzend Antideutsche haben sich durch die Sperren mogeln können. "Nie, nie, nie wieder Deutschland", halten sie den Neonazis entgegen und entrollen ein paar US- und Israelflaggen. Ein tapferes Pärchen ruft: "Nazis raus!", zwei Mittzwanziger brüllen: "Stalingrad war wunderbar, Naziopa blieb gleich da." Aber das ist alles so harmlos, dass selbst die Schläger unter den Rechten nur müde lächeln. Pöbeln lassen sie andere, das ist ihre Strategie. Genauer gesagt, die der NPD. Für die Partei ist der Aufmarsch eine Chance, zu demonstrieren, dass die rechte Szene doch nicht so zerstritten ist, wie zuletzt immer wieder zu hören und zu lesen war. Gut sechs Monate vor der Landtagswahl kann das nicht schaden. Am 30. August wollen die Nationalen unter allen Umständen den Wiedereinzug ins sächsische Parlament schaffen. Und wo, wenn nicht in Dresden, kann man schon mal ordentlich mobilisieren. Düsterer Fackellauf am Freitagabend . Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, dass es hier eine Menge Menschen gibt, die Geschichte etwas anders sehen, als man gemeinhin hoffen dürfte. Ansonsten wäre es den Rechten wohl kaum möglich, ihren jährlichen Fackellauf völlig ungestört abzuhalten. Der Zug ist dieses Jahr schon am Freitagabend, gewissermaßen die Ouvertüre zum ganz großen Trauermarsch am Folgetag. Das "Aktionsbündnis gegen das Vergessen" hat dazu aufgerufen. Gleich hinter dem Bahnhof sammeln sich rund tausend Neonazis, unter ihnen Thomas "Steiner" Wulff, der in ihren Kreisen als Führungsfigur gilt. Um sieben Uhr setzt sich die Gruppe, abgeschirmt von der Polizei, in Bewegung. Vorneweg marschieren sechs Kameraden mit Skelettkostümen und schwarzen Kreuzen. Rund zwei Stunden geht es durch Neubausiedlungen in der Vorstadt. Die Straßenzüge sind düster, kein Gegendemonstrant ist weit und breit zu sehen. Ab und zu lehnt sich ein Anwohner mal aus dem Fenster, ohne aber groß auf sich aufmerksam zu machen. Eine Frau steht im Vorgarten. Wie sie den Aufmarsch denn fände? "Mutig, mutig", sagt sie. Am Wettiner Platz, nach der Hälfte der Wegstrecke, kommt der Zug zum Stehen. Ein Redner wettert über die "Luftmörder mit ihrer todbringenden Fracht", doziert über "Hunderttausende Opfer" und rühmt die Gefallenen an der "Heimatfront". Dann halten die Rechten eine Schweigeminute ab. Nichts regt sich. Hier gehört ihnen die Straße. Mehrere tausend Menschen protestieren gegen Neonazis. Es gibt natürlich auch frohe Botschaften an diesem Wochenende. Die Gegendemonstrationen zum Beispiel. 6.000 Menschen sind nach Polizeiangaben am Nachmittag vor die Semperoper gekommen, zur Abschlusskundgebung der Aktion "Geh Denken". Linke Parteien, Kirchen und Gewerkschaften sprechen gar von 7.500 Teilnehmern. Sie hatten dazu aufgerufen, den Neonazis die Stirn zu bieten. Selbst Parteiprominenz ist angereist: SPD-Chef Franz Müntefering etwa. Die "braune Soße" dürfe in Deutschland "nie wieder eine Chance haben", ruft er den Aktivisten entgegen. Grünen-Chefin Claudia Roth ist auch da. Sie sei schockiert, sagt sie, wie die Rechtsextremen mit Parolen vom "Bombenholocaust" die Verbrechen der Nationalsozialisten relativierten. Am Mittag hat Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) zudem ein Mahnmal in der Altstadt eingeweiht. Die harte Polizeistrategie hat auch funktioniert. Wo immer Rechtsextreme und Autonome hätten aufeinandertreffen können - alles war vorher schon mit Tausenden Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet rigoros abgeriegelt. Zwischenfälle konnten so vermieden werden. Nur am Schlossplatz gibt es mal kurz Rangeleien zwischen Polizei und Autonomen. Ansonsten bleibt die Lage ruhig. Doch nächstes Jahr werden die Neonazis wiederkommen. Dresden ist zu ihrer Pilgerstätte geworden.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,607669,00.html

14.2.09

NPD droht finanzielles Fiasko

RECHENSCHAFTSBERICHT

Die NPD ist erneut in finanziellen Schwierigkeiten. Nach SPIEGEL-Informationen hat die Bundestagsverwaltung massive Ungereimtheiten im jüngsten Rechenschaftsbericht der Rechtsextremisten entdeckt. Das Zahlenwerk, das vor wenigen Wochen, kurz vor Abgabefrist, beim Bundestag eingereicht wurde, soll derart gravierende Fehler enthalten haben, dass sich die Summe der Unrichtigkeiten auf fast 900.000 Euro beläuft. Ein Sprecher des Bundestags bestätigte "Anhaltspunkte für Fehler im Rechenschaftsbericht 2007", zu Details und Summen wollte er sich nicht äußern. Auch mehrere Spitzenfunktionäre der Partei räumen Querelen mit der Bundestagsverwaltung ein. NPD-Bundesschatzmeister Stefan Köster beteuert indes, "beim Bundestag einen richtigen Rechenschaftsbericht eingereicht und hierzu gegenüber dem Bundestag ausführlich Stellung genommen" zu haben. Die Erläuterungen scheinen die Parteienkontrolleure nicht überzeugt zu haben: Eine für diese Woche vorgesehene Zahlung in Höhe von rund 300.000 Euro will die Bundestagsverwaltung nur unter Vorbehalt und gegen Sicherheiten in gleicher Höhe an die NPD überweisen. So sollen, dem Parteiengesetz entsprechend, mögliche Rückforderungen der Staatskasse abgesichert werden. Auch diesen Vorgang will Köster "nicht bestätigen" und behauptet, dass man sich "hinsichtlich der finanziellen Situation der Partei keine Sorgen" machen müsse. NPD-Bundesvorstand Udo Pastörs dagegen wies am Freitag auf die katastrophale Finanzlage der Partei hin: "Die Kriegskasse der NPD existiert de facto gar nicht mehr." Es könnte noch schlimmer kommen: Sollten sich die Unregelmäßigkeiten im Rechenschaftsbericht 2007 bestätigen, droht der hochverschuldeten NPD eine Geldstrafe in doppelter Höhe der unrichtigen Angaben, rund 1,8 Millionen Euro.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,607602,00.html

 

ZUM THEMA AUF SPIEGEL ONLINE:

Rechtsextremismus: Porno-Schlammschlacht in der NPD (06.02.2009)

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,605986,00.html

Linke Schulhof-DVD: Laut gegen rechts (05.02.2009)

http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,605761,00.html

Kiel: Ex-NPD-Chef soll "Hells Angel" niedergestochen haben (02.02.2009)

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,605081,00.html

Neonazis in Berlin: Proteste gegen NPD-"Mahnwache"

http://www.spiegel.de/video/video-48939.html

NPD-Funktionär: Mainzer Neonazi fliegt von der Uni (14.01.2009)

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,601329,00.html

SKANDAL IM SÄCHSISCHEN LANDTAG

NPD-Mann spricht von Dresdner "Bomben-Holocaust"

Neuer Skandal im sächsischen Landtag: Aus Protest gegen Redebeiträge der NPD-Abgeordneten Holger Apfel und Jürgen Gansel zog heute ein Großteil der Abgeordneten der anderen Parteien kurzzeitig aus dem Plenum in Dresden aus. Die Rechtsextremisten hatten zuvor Nazi-Verbrechen mit den alliierten Bombenangriffen gleichgesetzt. Abgeordneter Müller: Rechtsextreme relativieren den Mord an Millionen Juden. Gansel gebrauchte in seiner Rede den Begriff "Bomben-Holocaust" für die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945. "Der Bomben-Holocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zusammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933", sagte er. "Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen", rief der 30-Jährige. Apfel nannte den 8. Mai 1945 den "Tag der vermeintlichen Befreiung Deutschlands". Die "gleichen Massenmörder", die Dresden am 13. Februar ausgelöscht hätten, seien "heute drauf und dran, neue Kriege vom Felde zu ziehen". Er bezeichnete die Alliierten in seiner teils schreiend vorgetragenen Rede als Massenmörder und sprach von einer anglo-amerikanischen Gangsterpolitik. Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) schaltete ihm daraufhin das Mikro ab. Zu Sitzungsbeginn hatte sich die NPD-Fraktion bereits einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus verweigert. Landtagspräsident Iltgen hatte alle Abgeordneten aufgefordert, den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die Ehre zu erweisen, "gleichviel durch welche Willkür und Gewaltmaßnahmen sie zu Schaden gekommen sind". Die NPD-Fraktion, die zuvor eine Gedenkminute für die Opfer des Luftangriffs der Alliierten auf Dresden am 13. Februar 1945 beantragt hatte, zog geschlossen aus dem Parlament aus. Zu dieser alle NS-Opfer einschließenden Schweigeminute hatte sich Iltgen nach Angaben von Parlamentssprecher Ivo Klatte kurzfristig entschlossen, um dem NPD-Antrag zuvorzukommen. Dieser war von der Landtagsverwaltung aus formalen Gründen für unzulässig erklärt worden. SPD-Fraktionschef und Alterspräsident Cornelius Weiss ergriff während der von der NPD beantragten Landtagsdebatte über die Opfer der Luftangriffe stellvertretend für alle anderen Fraktionen das Wort und warf Apfel eine "mit Schaum vor dem Mund und in Goebbelscher Manier vorgetragene Rede" vor. "Wir dürfen das Dresdner Inferno niemals vergessen, wir dürfen aber auch nicht vergessen, wie es dazu kam", sagte Weiss wörtlich. Er nannte die Machtergreifung Hitlers 1933, die Verfolgung der Juden, den Massenmord in Konzentrationslagern, die deutschen Bombardements auf das spanische Guernica und das englische Coventry. Es sei gefährlich, diese Ereignisse gegeneinander aufzurechnen. Thomas Jurk (SPD), Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU): "Jenen in den Arm fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen". An die Demokraten im Parlament richtete er den Appell, "mit aller Entschiedenheit jenen in den Arm zu fallen, die schon wieder nach der Brandfackel greifen". "Brücken bauen - Versöhnung leben" sei der Geist, "der fortan in uns leben muss", sagte er in seiner mit langem Beifall bedachten Rede, nach der sich die Abgeordneten von CDU, SPD, PDS, FDP und Grünen erhoben. Als Gansel anschließend in der hitzigen und von zahlreichen Zwischenrufen unterbrochenen Debatte Richtung Weiss davon sprach, dass moralische Betroffenheit keine historischen Fakten ersetze, verließen die Fraktionen von PDS und Grünen komplett und Teile von SPD, CDU und FDP den Plenarsaal. Die Provokation der Rechtsextremen war offenkundig geplant. Auf der Besuchertribüne des Landtages hatten sich deutlich mehr Gesinnungsgenossen eingefunden als sonst. Als Alterspräsident Weiss ans Pult trat, kommentierte das ein Zuschauer mit den Worten "alter Jude". Die NPD ist seit der Landtagswahl im September, bei der sie 9,2 Prozent der Stimmen erhielt, mit zwölf Abgeordneten im sächsischen Landtag vertreten. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten und der Ausländerbeauftragten erhielt der NPD-Kandidat bei geheimen Abstimmungen jeweils mindestens zwei Stimmen aus anderen Fraktionen, obwohl diese sich auf eine Isolierung der Rechtsextremen verständigt hatten. Die Abweichler sind nicht bekannt. Unterdessen lehnte Landtagspräsident Iltgen das Ansinnen der NPD ab, am Gedenktag für die Zerstörung Dresdens vor dem Landtag aufmarschieren zu dürfen. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass bestimmte politische Gruppierungen versuchen, die Ereignisse am 13. Februar 1945 in ihrem Sinn umzudeuten und für politische Zwecke zu instrumentalisieren." Zu der Demo wollen 5.000 Rechtsextreme aus ganz Deutschland anreisen.

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,337894,00.html

Victor W.

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