27.12.08

Rechtsextreme Straftaten

 

GEWALTDELIKTE IN DEUTSCHLAND

Zahl rechtsextremer Straftaten steigt drastisch

Deutschland steuert einem Zeitungsbericht zufolge in diesem Jahr auf einen Höchststand rechtsextremer Straftaten zu. Allein bis Ende Oktober hat das Bundesinnenministerium demnach fast 12.000 Delikte mit rechtsextremem Hintergrund registriert - eine Zunahme um fast 30 Prozent.

Die Zahlen sind erschreckend: Bereits in den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurden mehr Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund verübt als im gesamten Jahr 2007. Laut einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" hat das Innenministerium bis Ende Oktober 11.928 solcher Delikte registriert. Das entspreche einer Steigerung um fast 30 Prozent. 2007 hatten die Behörden noch 9206 Delikte gezählt.

Eine neue Debatte über Rechtsextremismus hatte eine Messer-Attacke auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl ausgelöst. Der Polizist hatte den Angriff vor zwei Wochen dank einer Notoperation überlebt, die Fahndung nach den Tätern läuft.

Erheblich gestiegen ist laut "FR" auch die Zahl antisemitischer Straftaten: Von 716 auf 797 von Januar bis Ende September 2008. Die endgültige Auswertung der Daten, die von den Landeskriminalämtern gemeldet werden, sei erst zu Beginn des Jahres 2009 zu erwarten. Die Daten werden von der Linkspolitikerin Petra Pau Monat für Monat beim Bundes-innenministerium abgefragt.

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Sebastian Edathy, sprach sich "gegen kurzatmigen Aktionismus" und für eine Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus aus. In der "Frankfurter Rundschau" rief der SPD-Politiker die Bundesregierung auf, einen Demokratiegipfel einzuberufen, um die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu planen. Es sei egal, sagte Edathy, ob dies die Kanzlerin tue oder der Vizekanzler. "Hauptsache es geschieht."

Edathy rügte "fraktionsübergreifende Vorbehalte" gegen eine Vorlage aus dem Bundesrat, die zu Jahresbeginn im Bundestag beraten werde. Die Initiative der Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg strebt unter anderem an, dass Strafen für rechtsextreme Gewalttaten grundsätzlich nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können. Er halte das wegen der besonderen Abscheulichkeit für angemessen, sagte Edathy. Auch ein neuer Anlauf zum Verbot der NPD sei richtig. Sie sei der organisatorische Kern des Rechtsextremismus und unterhalte regelmäßig Kontakt zur gewaltbereiten Szene.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) wertete die Entwicklung als Beleg dafür, "dass es nicht ausreicht, bei jedem Anlass, wie zuletzt dem furchtbaren Anschlag auf den Passauer Polizeipräsidenten, aufgeregt mit den Flügel zu schlagen". Nötig sei vielmehr eine Länder- und Regierungsressorts übergreifende "Gesamtstratege". Die Politikerin forderte im Gespräch mit der Zeitung darüber hinaus eine "unabhängige Beobachtungsstelle". Bisher würden von unterschiedlichen Stellen zu viele unterschiedliche Angaben über die Entwicklung rechtsextremistischer Kriminalität gemacht.

16.12.08

Neonazis

München/Berlin/Hamburg - Das Wort von einer neuen Dimension der Gewalt macht die Runde. Bisher hatten Rechtsextreme meist am Rande ihrer Aufmärsche geschlagen, getreten, gedroht. Der Angriff auf Passaus Polizeichef Alois Mannichl aber war eine gezielte Attacke - ausgeführt von einem mutmaßlichen Neonazi. Sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

So sieht es auch die Bundesregierung. Eine "neue Qualität" rechtsextremer Gewalt diagnostizierte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, zugleich eine "unglaubliche Direktheit" des Mordversuchs.

Mannichl ist Feindbild der bayerischen Neonazi-Szene. Weil er mit Härte gegen die braunen Trupps vorging, wurde etwa auf den Internet-Seiten der Passauer NPD immer wieder gegen ihn gehetzt.

Nun verurteilt die NPD in einem Schreiben von Parteichef Udo Voigt den Anschlag auf Mannichl. Allerdings mit der Bemerkung, dass der Passauer Polizeichef "sein Amt wiederholt missbraucht" und die "nationale Opposition verfolgt" habe. In rechtsextremen Internet-Blogs regiert die Häme: "Der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht", heißt es in einem Eintrag.

Bundesweit attackieren Neonazis ihre Kritiker

Ein prominenter Polizist als Opfer - das ist die neue Dimension. Bisher habe die Gefahr bestanden, dass man während eines Einsatzes einen Stein abbekomme oder attackiert werde, sagte Günther Beckstein, von 1993 bis 2007 Bayerns Innenminister, zu SPIEGEL ONLINE. Nun aber "der unmittelbare Angriff in der Privatsphäre, das ist neu". Polizisten müssten nun noch stärker auf Eigensicherung achten, rät Beckstein.

Die rechtsextreme Szene habe sich deutlich verändert: Einst seien "die alten Nazis" tonangebend gewesen, dann die jungen Kameradschaften, schließlich eine "neue Rechte, die sich intellektuell gab". Aktuell habe man es wiederum mit einem kleineren rechtsextremen Personenkreis zu tun, "aber die Gewaltbereitschaft nimmt zu".

"Die Polizei ist ins Visier rechter Gewalttäter geraten", sagt auch Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zu SPIEGEL ONLINE. Beamte, die im rechten Milieu ermitteln, würden per Telefon bedroht und persönlich belästigt.

Gezielte Angriffe, Drohungen, Verunglimpfungen von Rechtsaußen: Bundesweit attackieren Neonazis ihre Kritiker. SPIEGEL ONLINE stellt vier Beispiele vor.

Fall 1: Der Polizeidirektor Wie Alois Mannichl in Passau ist Michael Knape in Berlin bekannt für seinen Kampf gegen Rechte. Dann schlugen sie zurück: Nachts terrorisierten sie ihn mit Anrufen. mehr...

Fall 2: Die Journalistin Andrea Röpke wurde laut Berliner "tageszeitung" an ihrer Haustür bedroht: Ihre Nichte öffnete die Tür, vor der ein Neonazi im dunklem Outfit stand. mehr...

Fall 3: Der Richter Nachdem ein Kieler Richter ein NPD-Mitglied zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, veröffentlichten Neonazis seine Adresse im Internet. mehr...

Fall 4: Der Gewerkschafter Küchenschaben im Briefkasten, Patronenhülsen im Vorgarten: Der Gewerkschafter Rainer Sauer wird seit über einem Jahr regelmäßig von Neonazis bedroht. mehr...

Burkhard Freier, stellvertretender Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen kennt einige Fälle wie den des Gewerkschafters Rainer Sauer. "Dass Rechtsextremisten verbal - hauptsächlich über das Internet - ihre vermeintlichen politischen Gegner attackieren, ist ein Phänomen, das wir schon in der Vergangenheit beobachtet haben", so Freier zu SPIEGEL Allerdings seien Rechtsextreme heute anders organisiert, sagt der Experte. "Durch das Internet haben Rechtsextreme ganz neue Möglichkeiten, Druck auszuüben". Neonazis versuchten, mit Verbalattacken, präzisen Beschreibungen des Opfers oder Drohvideos den "vermeintlichen politischen Gegner einzuschüchtern". Das Strafrecht, so Freier, böte aber genügend Handhabe gegen die Täter. "Gerade bei rechtsextrem motivierten Straftaten haben wir einen hohen Verfolgungsdruck."

Victor W.

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