22.11.08

Victor W

In unserer Familie war es ganz klassisch, dass wirklich nie über die Vergangenheit geredet wurde, dass Erika und Günter nie Verantwortung für das eigene Handeln übernommen haben und dass die Kinder es auch nie gewagt oder nie gewollt haben, kritische Fragen an den Vater oder die Mutter zu stellen. Sie haben diesen Vater – Victor W. - vergöttert, und er ist heute noch für sie der absolut tolle Vater. Der er bestimmt für sie auch war, aber seine Kinder wollen nicht wahrhaben, dass er auch eine ganz andere Rolle gespielt hat. Dass er von der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur sehr profitiert hat, sondern dass er da auch ganz aktiv und gewollt Karriere gemacht hat.

Interessanterweise ist das auch mit der nachfolgenden Generation nicht passiert. Weder meine Schwester noch mein Bruder war jemals daran interessiert, ein Gespräch über unsere Familie zu führen, noch habe ich von ihnen irgendeine Reaktion auf meine Fragen bekommen.

Ich versuche, das nicht zu sehr zu bewerten, aber es ist gut möglich, dass auch einige das Gefühl hatten, es ist ganz praktisch, dass ich das jetzt erledige, stellvertretend für die Familie. Da kann ich aber nur spekulieren.

Denn Reaktionen und Meinungen bekomme ich immer nur auf indirektem Wege mitgeteilt, weil die keinen direkten Kontakt mit mir haben wollen.

Die Schwester von meiner Frau ist ja nach wie vor sehr aktiv in rechtsextremen Kreisen, und sie hat ihren Sohn leider auch dementsprechend erzogen. Das heißt, der Sohn ist völlig loyal gegenüber der Mutter, und ich bin an sie nie herangekommen. Das ist natürlich sehr schade.

Bei der Tochter von Victor Wesolowski verstehe ich natürlich, dass sie damit nichts zu tun haben will, wobei ich denke, dass sie auch nur hätte davon profitieren können. Da bisher keiner so fair mit ihr umgegangen ist, wie ich das getan habe. Sie ist eine Person, mit der ich sehr viel Mitleid habe, da sie ein sehr schwieriges Leben hatte und einfach in einer Position ist, in der es sehr schwer ist damit umzugehen.

Wenn man einen Vater hat, der so fürchterlich viele Verbrechen begangen hat, dann hat man nicht sonderlich viel Auswahl, wie man damit umgehen kann. Das lässt, denke ich, nur sehr extreme Wahlmöglichkeiten: entweder man verschließt die Augen und bleibt absolut loyal, so wie sie sich entschieden hat, die Wahrheit nicht zur Kenntnis zu nehmen, weil sie wahrscheinlich unerträglich wäre. Oder man bricht damit völlig und versucht eine komplett neue Identität anzunehmen.

Außerdem bin ich der Meinung, es ist nicht so schwierig, dass wir irgendwann zu dem Punkt kommen, dass wir unseren Eltern vergeben, was sie uns angetan haben. Das ist das Äußerste, was wir tun können. Dass wir vergeben, was sie uns weitergegeben haben an schwerem Erbe. Aber was ich überhaupt nicht sehe ist, dass man vergeben kann, was sie getan haben. Das kann man nicht vergeben.

Deshalb stellt sich die Frage immer und immer wieder, gibt es noch ein Defizit, was das Wissen über unsere eigenen Familiengeschichten betrifft?

Und da kann man nur sagen, es hat ja gerade erst angefangen, dass diese familiären Verstrickungen versucht werden aufzuarbeiten. Es ist ja tatsächlich so hier in Deutschland, dass man permanent auf allen Radio- und Fernsehsendern irgendeine Dokumentation über die Zeit hören und sehen kann. Fast alles wissen wir über diese Zeit und auf der anderen Seite weiß kaum jemand etwas über die eigene Familie, was die damals gemacht hat. Es ist ein riesiger Zwiespalt.

Ich glaube, dass erst seit ein paar Jahren versucht wird, eine Verbindung zu schaffen, zu versuchen, die eigenen Familien in den Kontext der historischen Zeit einzuordnen. Zu gucken, wo standen die denn damals, wie kann ich meine Familie mit dieser großen Geschichte verknüpfen. Und das ist etwas, was sehr mühsam ist und was offensichtlich erst nach so langer Zeit möglich ist, weil es vorher zu schmerzhaft war. Es braucht einfach sehr viel Zeit, bis man da ran kann.

Victor W.

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