9.6.09

Rechtsextreme schaffen Sprung in Stadträte

 KOMMUNALWAHLEN
Leipzig, Rostock, Saarbrücken, Erfurt, Trier: Die NPD zieht nach den Kommunalwahlen in etliche Stadtparlamente ein. Zwar blieb der befürchtete Durchmarsch aus - doch scheinen sich die Rechtsextremen dauerhaft festzusetzen. Aus Protestwählern werden Stammwähler.
 
Neonazi-Aufmarsch in Brandenburg: Kein Durchmarsch für die NPD - aber Festsetzen "in der Fläche"
Im sächsischen Parthenstein entschied der Zufall über den Triumph eines Rechtsradikalen. Zwei Bewerber - einer von der NPD, der andere Sozialdemokrat - erreichten bei der Kommunalwahl die gleiche Stimmenanzahl, allerdings war nur noch ein Sitz im Gemeinderat frei. Also wurde der Platz verlost. Der NPD-Kandidat gewann.

Auf Glück mussten sich die Neonazis bei den jüngsten Kommunalwahlen vielerorts nicht verlassen. Die Rechtsextremen verbuchten in mehreren Bundesländern Erfolge - zwar auf verhältnismäßig niedrigem Niveau, dennoch stabiler als gedacht.
 
In Thüringen zieht die NPD voraussichtlich in allen Wahlkreisen, in denen sie angetreten war, in die Parlamente ein. Landesweit kommt die Partei auf 3,1 Prozent der Stimmen. Kurz vor Auszählung aller Stimmen erreichte die NPD insgesamt 21 Sitze. Bei den vergangenen Kommunalwahlen waren die Rechten noch leer ausgegangen.
Auch in Sachsen sind die Gemeinden ausgezählt, die NPD steht dort bei 2,3 Prozent . Das entspricht mindestens 73 Sitzen in den Gemeinden. Damit hat die NPD ihre Mandate gegenüber den Kommunalwahlen 2004 fast verdreifacht - allerdings war sie dieses Mal auch mit deutlich mehr Kandidaten in den Wahlkampf gezogen. Im sächsischen Landtag sitzt die NPD seit 2004.
In Mecklenburg-Vorpommern gewinnt die NPD im Vergleich zur Kommunalwahl 2004 klar dazu und steigert sich von 0,8 auf 3,2 Prozent. Landesweit werden die Rechten nun 26 Mandate auf kommunaler Ebene besetzen. Damit zieht die Partei in die meisten Kreistage und Bürgerschaften in Mecklenburg-Vorpommern ein. Allerdings verlieren die Braunen im Vergleich zur Landtagswahl 2006 deutlich: Damals wählten über sieben Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern rechts, die NPD zog erstmals in den Schweriner Landtag ein.
In Sachsen-Anhalt sind die Auszählungen noch nicht abgeschlossen. Vorläufigen Ergebnissen zufolge verlor die NPD in ihren bisherigen Hochburgen, dafür ist die Partei nun aber in viermal so vielen Kommunalparlamenten vertreten.
Im Saarland zieht die NPD in die Stadtparlamente von Saarbrücken und Völklingen ein. In Saarbücken gewann die Partei 1,9 Prozent der Wählerstimmen, in Völklingen 4,6 Prozent. Im Vergleich zur Kommunalwahl 2007 verlor die NPD insgesamt jedoch mit 0,6 Prozentpunkten rund die Hälfte ihres Stimmenanteils.
In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bleiben die Kommunen und Städte nahezu NPD-frei - in Trier schafften die Braunen mit einem Sitz den Einzug ins Stadtparlament.

Auch wenn die NPD an die teilweise spektakulären Erfolge bei den Landtagswahlen 2006 nicht anknüpfte: Die Kommunalwahl 2009 ist ein Signal dafür, dass sich die NPD zumindest im Osten Deutschlands flächendeckend festsetzt.
 
Offenbar ist es der NPD gelungen, eine Stammwählerklientel herauszubilden und diese auch zu aktivieren. "Da wo die Parteien schon stark waren, haben sie sich gehalten", sagt der Rostocker Politikwissenschaftler Steffen Schoon. Das gilt auch für die Rechten.
 
Trotz zahlreicher Skandale der Bundespartei konnten die Rechtsextremen neue Bewerber aus den Kameradschaften für ihre politische Arbeit rekrutieren - dafür spricht die deutlich erhöhte Zahl der Kandidaten bei dieser Wahl. So waren in Sachsen die Rechtsradikalen mit mehr als 300 Bewerbern ins Rennen gegangen, viermal so viel wie 2004.
 
Auf Anhieb im zweistelligen Bereich
 
Das mecklenburgische Bargischow galt 2006 mit einem Stimmenanteil von knapp 32 Prozent als NPD-Wählerhochburg. Jetzt holte die NPD dort noch 21,4 Prozent der Stimmen. Ähnlich in Postlow in Ostvorpommern: Hier hatte die NPD 2006 ihr deutschlandweites Rekordergebnis von 38 Prozent eingefahren, bei der aktuellen Kommunalwahl kommt sie immerhin noch auf gut 17 Prozent.
 
In Lübtheen stimmten zwölf Prozent der Wähler für die Rechtsextremen. Hier hatte sich die Partei zum ersten Mal für eine Stadtvertreterwahl aufstellen lassen. In der Kleinstadt hatte unter anderem die Ehefrau des dort wohnenden Fraktionsvorsitzenden der NPD im Landtag, Udo Pastörs, kandidiert. In Kommunen wie Ueckermünde und Löcknitz sind die Rechtsextremen mit etwa 13 Prozent sogar drittstärkste Kraft geworden - jeweils vor der SPD.
 
Auch in Thüringen und Sachsen holte die NPD mehrfach Ergebnisse im zweistelligen Bereich. Im thüringischen Urnshausen erhielten die Rechten 19,1 Prozent. Im sächsischen Reinhardtsdorf-Schöna reichte es für 22 Prozent - vor fünf Jahren waren es dort sogar 25 Prozent. Die NPD-Hochburg Sebnitz in der Sächsischen Schweiz blieb mit 13,1 Prozent in etwa auf dem Stand von 2004.
 
Die "rechte Invasion" und "Schockwerte" in einzelnen Gemeinden blieben entgegen weit verbreiteter Befürchtungen aus. Doch die vielen Mandate auf kommunaler Ebene helfen der Partei, sich "in der Fläche zu verankern", so die Einschätzung des "Netzwerks für Demokratische Kultur" (NdK). Dort, wo die NPD seit Jahren erfolgreich antrete, könne man jetzt sicherlich nicht mehr von Protestwählern sprechen. In diesen Orten gebe es "ganz offensichtlich eine ideologisch gefestigte rechte Wählerschaft."
 
NPD profitiert von neuer Wahlregelung
 
Und die Rechten finden sich längst nicht mehr nur in der Provinz. Wie erwartet hat eine Änderung im Wahlgesetz der NPD den Weg in die Städte geebnet: In allen sieben Bundesländern, die am Sonntag wählten, wurde erstmals ohne sogenannte Fünf-Prozent-Hürde abgestimmt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2008 entschieden, dass die Klausel kleinere Parteien diskriminiere.
 
In den thüringischen Städten Gera und Eisenach sitzen deshalb künftig zwei NPD-Mitglieder im Stadtparlament, in Weimar hat es einer geschafft. Auch in Erfurt deutet sich ein Mandat für die NPD an. In Dresden, Chemnitz und Leipzig, wo die NPD erstmals antrat, erreichte die Partei mit Stimmanteilen zwischen 2,4 und 3,7 Prozent zusammen fünf Mandate.
 
Ähnlich die Situation in Sachsen-Anhalt: In Halle, Magdeburg, Halberstadt, Quedlinburg, Sangerhausen, Zeitz, Köthen oder Bad Kösen eroberte die Partei je einen Sitz im Stadtrat. Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD jetzt erstmals in den Stadträten von Schwerin und Stralsund, Rostock und Neubrandenburg vertreten.
 
Trotzdem könne von einem Triumph der Rechten keine Rede sein, ist die einhellige Meinung der Experten. Auch wenn die Rechtsextremen in zahlreiche Stadt- und Gemeindeparlamente einzogen, konnten sie in keinem Bundesland deutlich mehr als drei Prozent erreichen. Bei einer Landtagswahl wäre die NPD daher vermutlich gescheitert.
 
Außerdem sind die Rechtsextremen in den Städten mit nur einem oder zwei Sitzen vertreten. Für einen Fraktionsstatus, verbunden mit Ämtern, Einfluss und öffentlichen Geldern, reicht das kaum.
 
mit Material von AP, ddp, dpa
 
© SPIEGEL ONLINE 2009

4.6.09

Hartz-IV-Empfänger wehren sich gegen Observierung

INTERNE WEISUNG
Scharfe Vorwürfe gegen die Bundesagentur: Hartz-IV-Initiativen beklagen, dass Empfänger der staatlichen Stütze bei Betrugsverdacht künftig observiert werden dürfen. Sie beklagen "Stasi-Methoden". Tatsächlich ist in der offiziellen Weisung von "Observation" die Rede.
 
Hamburg/Berlin - Der Bundesagentur für Arbeit (BA) steht Ärger ins Haus. Schon vor zwei Tagen haben die Initiative "Gegen Hartz IV" und das Erwerbslosenforum Deutschland in einer gemeinsamen Presseerklärung vor einer neuen Weisung der Behörde gewarnt - jetzt moniert auch die "Bild"-Zeitung, dass Hartz-IV-Empfänger künftig bei Betrugsverdacht regelrecht beschattet werden dürfen.
 
Die Weisung stammt vom 20. Mai und ist im Internet abrufbar (siehe PDF). Sie richtet sich laut "Bild" an alle Hartz-IV-Arbeitsgemeinschaften und Jobcenter. "Observationen" sind als Maßnahmen bei "Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmissbrauch" genannt.
 
Dazu sollten die Behörden Außendienste einrichten oder private Firmen mit der Kontrolle beauftragen. Die Hartz-IV-Kontrolleure sollten demnach dann verstärkt zu Hausbesuchen bei Arbeitslosen ausschwärmen und mit Zustimmung des Hartz-IV-Empfängers auch Schränke kontrollieren, "wenn eine Sachverhaltsaufklärung sonst nicht möglich ist".
 
Die Ergebnisse der Wohnungskontrollen sollten detailliert protokolliert und "Auffälligkeiten" für jeden Raum gesondert beschrieben werden. Den Außendienstmitarbeitern solle es auch erlaubt sein, Nachbarn oder Bekannte über die Hartz-IV-Bezieher zu befragen. Selbst Kinder sollten befragt werden, wenn ihre Erziehungsberechtigten zustimmen.
 
Schon die beiden Hartz-IV-Initiativen hatten geklagt, in der Weisung seien die Möglichkeiten zu Datenerhebungen und Leistungsverweigerungen umfassend erweitert worden - von bisher zwei auf sechs Seiten. Die BA verschärfe die Kontrolle von Hartz-IV-Empfängern. Bei Betrugsverdacht könnten die Arbeitslosen demnach sogar von Sozialbehörden observiert werden können.
 
Nach Ansicht der beiden Initiativen reicht für die Einleitung einer Observation eine "anonyme Anzeige eines gehässigen Nachbarn aus". Martin Behrsig, Sprecher des Erwerbslosenforums, sagte, man prüfe derzeit rechtliche Schritte gegen die in der Weisung angedachten Methoden. Diese erinnerten an die "Stasi".
 
Scharf kritisieren die Initiativen auch den Unterpunkt Rz 6.7, der es erlaubt, Zeugen und Sachverständige zu "vernehmen", wobei "zwingend der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten" sei. Das suggeriert nach Meinung der Initiativen "Befugnisse von Strafermittlungsbehörden", die gar nicht vorhanden sein dürften. Auch verzichte die BA darauf, hinzuweisen, "dass Personen nur dann befragt und angehört werden dürfen, wenn Daten nicht anders erhoben werden können".
 
Die Bundesagentur hat sich am Vormittag zu den Berichten geäußert. Bei Verdacht von Sozialmissbrauch sind nach ihren Angaben seit Jahren Kontrollen von Hartz-IV-Empfängern üblich. In extremen Fällen könnten Verdächtige auch überwacht werden. "Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, Leistungsmissbrauch zu bekämpfen", sagte eine BA-Sprecherin am Donnerstag in Nürnberg. Zu den Vorwürfen, die Kontrollmöglichkeiten seien deutlich verschärft worden, äußerte sie sich nicht.
 
© SPIEGEL ONLINE 2009

Victor W.

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Kaiserbad Ahlbeck, post@haberland-klaus.de, Germany